Als alle anderen ihre Kinder gesund auf die Welt brachten

Trauerbegleitung STillsherises

Geschrieben von Franzi

17. Juli 2017

Ich habe einen Job in einer grossen Firma. Wir sind ca. 600 Angestellte in Horgen und das Wasser scheint hier sehr fruchtbar zu sein. Schon während meiner Schwangerschaft mit Finnley, waren noch 16 weitere Frauen mit mir schwanger. Und auch diesmal war ich nicht alleine. Ich war eine von 8 Frauen, die im Zeitraum von März bis Juni gebären würden. So kam es dann auch, dass in den zwei Wochen nach Lennis’ Tod, vier meiner Kolleginnen nacheinander ihre Babys auf die Welt brachten.
Ich war immer diejenige gewesen, die unsere gemeinsamen Mittagessen organisiert hatte – unsere “Big belly lunches”, die Tips für die anderen hatte, von Hypnobirthing und Beleghebammen erzählte und vom Paracelsus schwärmte. Nun war ich die Einzige von uns, die kein gesundes Baby mit nach Hause bringen durfte.
Alle paar Tage sah ich die fröhlichen Facebook Posts, mit Bildern der friedlich schlafenden Babys, in den Armen ihrer vor Glück strahlenden Eltern. Und darunter all die vielen Gratulationen und Glückwünsche, die wir nie erhalten würden. Ich habe nur drei Fotos mit Lennis friedlich schlafend auf meinem Arm. Sie entstanden kurz nachdem die Ärzte mit der Wiederbelebung aufgehört hatten und er sollte nie wieder aufwachen. Es tat unheimlich weh und war so unfair.

Versteht mich nicht falsch, ich habe mich für jede meiner Kolleginnen wirklich von Herzen gefreut. Ich war so froh, dass ihre Kinder gesund waren und ihnen unser Schicksal erspart geblieben ist. Ich gönne es ihnen wirklich. Keine Mutter sollte so etwas erleben müssen. Aber ich fühlte mich so alleine und war so neidisch auf ihr Glück. Ich war neidisch auf ihr erstes Bonding nach der Geburt, Haut an Haut, den süssen Duft der Neugeborenen. Auf das erste Mal Stillen, während ich mit einer einzigen Abstill-Pille, meine Milch zum versiegen bringen musste. Auf die erste schwarz bekackte Windel. Auf die liebevoll für die Heimfahrt ausgesuchten Kleider, die wir stattdessen mit ins Krematorium gaben. Auf die vielen bunten Glückwunschkarten, während wir nur Trauerkarten erhielten. Auf die schönen Babybilder im Spital, während unsere Fotografin unser totes Kind bei der Aufbahrung fotografierte. Auf ihre erste Autofahrt, ihre erste Nacht zu Hause, die dunklen Augenringe, die Streits mit den übermüdeten Vätern, die kalten Pizzen (weil das Kleine wieder genau dann wach geworden ist und Hunger hatte, als die Pizza geliefert wurde) und all die vielen tausend ersten Male, die wir mit Lennis nie werden erleben dürfen.

Ich hab nicht gedacht, dass Neid so mit Trauer einhergehen kann. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Es gibt auch heute noch keinen Tag, an dem ich nicht neidisch auf Schwangere oder Mütter mit ihren Neugeborenen bin. Und wenn es die nicht sind, dann sehe ich all die Mütter mit zwei Kindern. So wie ich es gewesen wäre. Es zerreisst mich jedes Mal von neuem. Aber ich kann dem nicht aus dem Weg gehen. Zu Hause einsperren ist keine Option mit einem zwei-Jährigen an der Hand. Ich weiss, ich muss da durch und lernen es zu ertragen. Niemand kann mir den Schmerz nehmen. Ich kann nur hoffen, irgendwann mein drittes Kind gesund im Arm halten zu dürfen. Erst dann wird der Neid verblassen.

Ich habe mich auch ganz bewusst dafür entschieden, all diese frischgebackenen Mamas zu besuchen und mich meinen Gefühlen zu stellen. Ich habe es sogar geschafft zwei von ihnen im Spital zu besuchen. Der erste Besuch auf der Wöchnerinnenstation war unglaublich hart. Überall schoben Mütter ihre Babys in kleinen Bettchen über den Flur. Man hörte schimpfendes Babygeschrei. Hebammen huschten hin und her. Fröhliche Besucher mit Blumensträussen und niedlichen Babygeschenken liefen durch die Gänge. Und mittendrin stand ich, umklammerte meinen eigenen Blumenstrauss und Sophie die Giraffe in meiner Hand und versuchte, in all diesem glücklichen Treiben, nicht in Tränen auszubrechen. Aber ich war mutig. Ich hab mich zusammengerissen und bin in ihr Zimmer gegangen. Ich habe ihr tapfer zu ihrem süssen kleinen Sohn gratuliert, ihn gestreichelt, sie umarmt. Ich habe nicht geweint, auch wenn ich weiss, dass es okay gewesen wäre. Meine dunklen Wolken gehörten nicht an diesen freudigen Ort. Der Moment sollte ihr und ihrem Baby gehören. Erst als die Hebamme rein kam, auf meinen noch gewölbten Bauch schaute und meinte “Oh, da ist ja auch eins auf dem Weg.”, konnte ich die Tränen nicht mehr halten. Aber ich sehe es trotzdem als Sieg. Ich habe mich der Situation gestellt und ich habe es überlebt. Es wird immer weh tun, aber ab diesem ersten Besuch wurden ähnliche Besuche immer ein klein wenig leichter.

 

6 Kommentare

  1. Ich habe gerade deinen Blog entdeckt, bin bei Urbia drauf gestoßen. Mein Sohn kam im April auf die Welt. Mir liefen die Tränen gerade nur so runter. Es tut mir unfassbar leid was dir passiert ist. Dieser kleine Sonnenschein Lennis, so ein kleines unschuldiges Wesen darf nicht bei euch sein.. wisst ihr woran es gelgen hat? Ich zünde heute Abend eine Kerze für euren Lennis an. Ich wünsche dir ganz viel Kraft weiterhin. Es fehlen einem die Worte.. Es hat keinen Sinn und ist Ungerecht. LG Karina

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    • Liebe Karina! Vielen Dank für deine mitfühlenden Worte. Es bedeutet mir sehr viel!
      Wir warten noch auf die Autopsieergebnisse, aber es scheint als hätte das Neonatale Marfansyndrom vorgelegen. Es kann bis zu 6 Monate dauern bis wir eine Antwort haben.
      Ich werde darüber schreiben sobald wir es genau wissen.

      LG Franzi

      Antworten
  2. Liebe Franzi, ich bin in Gedanken viel bei euch & eurem kleinen suessen Lennis.Ich wuensche dir viel Kraft in dieser schrecklich traurigen Zeit.Ich zuende heute Abend eine Kerze fuer unsere Sternenkinder an.Unsere Elin ist vor 2,5 Jahren auch bei der Geburt zu den Sternen geflogen.Alles lief normal+ploetzlich gingen die Herztoene runter..Viele deiner Worte habe ich durchlebt..Wut,Neid,Ohnmacht,Trauer,die Frage warum?warum wir?was waere wenn?..ein weites dunkles Tal..es tut mir so leid,dass ihr da durch muesst.Schreiben,malen,reden,einen Ort fuer Erinnerungen haben mir etwas geholfen.ich denke fest an euch.Liebe Gruesse Christine

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    • Lieben Dank für deinen Kommentar, Christine! Tut mir auch so leid, dass ihr eure kleine Elin verloren habt. Es ist nicht fair…
      Ich denke an euch und zünde für Elin heut abend eine Kerze mit an! Fühl dich lieb gedrückt!

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  3. Liebe Franzi
    Ich “kenne” dich aus der Mai Gruppe von Swissmom. Schon so oft habe ich begonnen, dir zu schreiben & dann wieder alles gelöscht weil ich nichts schreiben kann, was dir irgendetwas nützt. Ich muss dir einfach sagen, dass ich ganz ganz oft an dich denke und nun deinen Blog verfolge. Ich wünsche dir weiterhin eine gute Trauerbewältigung und hoffe, dass der Schmerz irgendwann erträglich ist.
    Liebe Grüsse
    Monika

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    • Danke liebe Monika! Ich bin froh, hast du jetzt den Mut gefasst und mir geschrieben. Ich freue mich immer über mitfühlende und aufbauende Worte.
      Sei lieb gegrüsst!
      Franzi

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