Ich höre so oft: “Du bist so stark. Wie machst du das nur? Ich könnte das nicht.”
Ganz ehrlich, ich weiss nie was ich darauf antworten soll. “Danke“? “Doch könntest du!“? Ein schmales Lächeln? Ein stummes Hinnehmen? Ich weiss, wie gut und aufbauend es gemeint ist. Aber mir fehlt jedesmal eine Antwort, die all die tausend Gedanken in meinem Kopf widerspiegeln kann.
Was bleibt mir auch anderes übrig als stark zu sein und weiter zu machen? Ich könnte mich verstecken, abhauen, verdrängen, ablenken. Aber so funktioniert das mit Trauer nicht. Du kannst versuchen vor ihr davon zu rennen. Aber früher oder später holt sie dich mit voller Wucht ein. Es gibt keine Weg drum herum. Nur durch.
Das war mir schon wenige Tage nach Lennis’ Tod klar. Ich wusste, wenn ich schnell wieder schwanger werden möchte, muss ich das Geschehene psychisch gut verarbeiten. So hab ich mich ganz bewusst für den Weg durch die Trauer entschieden. Direkt. Frontalangriff. Mit allem was dazu gehört. Ich wusste auch, dass es ein sehr schwerer Weg werden würde.
Schon im Spital habe ich angefangen unsere engsten Freunde und Kollegen per Whatsapp zu benachrichtigen. Ihre liebevollen und mitfühlenden Antworten haben mich immer wieder zum Weinen gebracht. Aber ich wusste, dass es mir helfen würde, dieses unfassbare Geschehen zu realisieren. Zu begreifen, dass es wirklich passiert ist. Ich habe Besuch empfangen, mich mit Freunden getroffen, bin auf Arbeit gefahren und habe jedem, der es wissen wollte, unsere Geschichte immer und immer wieder erzählt.
Ich habe mich auch ganz bewusst in unsere alten Tagesstrukturen geworfen. Habe meinen Sohn in die Krippe gebracht, bin auf den Spielplatz und einkaufen gegangen. Immer wieder bin ich auf freudig fragende Gesichter gestossen “Oh darf man endlich gratulieren? Ist das Baby da?”. “Nein, es ist gestorben.”. Entsetzen, Fassungslosigkeit, Beileidsbekundungen, Tränen, Umarmungen. Es war schwer auszuhalten. Und doch wurde es mit jedem Erzählen etwas leichter. Der Kloss im Hals wurde immer kleiner.
Durch den Tipp zweier Arbeitskolleginnen wurde ich auf Karin Andersson Hagelin aufmerksam. Sie ist ein Grief Counsellor, eine Trauerberaterin. Und ein Geschenk des Himmels. Sie selber hat ihre 8 Monate alte Tochter an ein genetisches Syndrom verloren und verstand mich daher wortlos. Gemeinsam mit ihr habe ich mich durch den grössten Schmerz gearbeitet. Ich habe unzählige der bittersten Tränen auf ihrer Couch vergossen und so Schritt für Schritt diesen Himalaya an Emotionen erklommen. Bei ihr kann ich alles aussprechen. Egal wie absurd, wirr oder komisch es ist – sie versteht es und gibt diesen Dingen einen Namen und einen Platz. Sie ist mein Rettungsanker.
Einen Psychologen habe ich auch zweimal besucht. Es tat gut zu reden und auch er hat mir geholfen einige Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Nach unserer zweiten Sitzung haben wir aber beide gemerkt, dass er mir momentan nicht helfen kann. So wie ich die Trauer angegangen bin, war ich auf dem richtigen Weg und es tat gut, das von einem Psychologen zu hören.
Von meiner Versicherung wurde mir Kinesiologie zur Traumaverarbeitung empfohlen. So wurde auch Doris Maranta aus Wädenswil zu einem wertvollen Pfeiler in meinem Trauerprozess. Mit ihrer verständnisvollen und einfühlsamen Art hat sie versteckte, emotionale Blockaden aufgedeckt, die ich dann mit Karin weiter bearbeiten konnte.
Ich habe mich schon sehr früh mit anderen betroffenen Müttern getroffen. Mir absolut wildfremde Menschen wurden mit dem ersten “Hallo” und einer liebevollen Umarmung zu herzensguten, wertvollen Wegbegleitern. Jede hat mir auf ihre Weise neue Einsichten geschenkt. So bin ich auch auf die Selbsthilfegruppe von Edda Eckhardt in Oberrieden gestossen und auf die wundervollen Frauen der Jasmina Soraya Stiftung. Es sind eben jene Gruppen, die einem zeigen, dass man mit seinem Verlust und all den Emotionen nicht alleine ist. Man darf aussprechen, was man sich sonst nicht auszusprechen wagt und findet immer ein weises Wort oder einfach nur puren Trost. Denn letztendlich kann nur jemand den Verlust eines Kindes, in all seinen Facetten, nachvollziehen, der es auch selbst erlebt hat.
Aus jeder schmerzhaften Konfrontation mit meinem Verlust, ist am Ende immer wieder etwas Gutes herausgekommen. Ich habe viel gelernt. Über mich selber, über andere, über das Leben, über Gott, Liebe und das Vertrauen, das am Ende alles gut wird.
Ich weiss, ich bin stark und gehe mit diesem Schicksalsschlag sehr gut um. Und ich bin froh, dass andere das auch so sehen. Aber der Weg ist noch lang. Nur weil ich nicht mehr in Tränen ausbreche, heisst das nicht, dass es vorbei ist. Im Gegenteil. In mir drin ist der Schmerz noch immer so präsent. Ich habe nur gelernt ihn besser auszuhalten und zu kontrollieren. Ich kämpfe jeden Tag, das er mich nicht auffrisst. Ich versuche wirklich jedem Tag etwas Gutes abzugewinnen und ihn zu geniessen. An andere Dinge zu denken. Und doch enden meine Gedanken immer wieder bei Lennis. Jeden Tag, ständig, immer. Und selbst wenn ich mal nicht an ihn denke, dann denke ich darüber nach, dass ich nicht an ihn gedacht habe. Er fehlt mit jedem Atemzug.
Leider habe ich gelernt, dass sich das nie wirklich ändern wird. Vielen Sternenmamas haben mir erzählt, dass der Schmerz besser wird, die Sehnsucht aber immer bleibt. Dieser Ausblick macht mir Angst. Es bedeutet, dass ich mein Kind immer vermissen werde und ein Teil dieses Schmerzes mich mein Leben lang begleiten wird. Jetzt geht es darum eine neue Normalität aufzubauen und diese Sehnsucht zu akzeptieren und ihr einen Platz zu geben.
Liebe Franzi,
auf Swissmom habe ich im Mai von eurem tragischen Verlust gelesen und bin jetzt per Zufall auf deinen Blog gestossen. Ich bin erleichtert lesen zu können, dass du dich der Trauer und Wut und Verzweiflung und allen anderen Gefühlen die einen überfahren in dieser Situation stellen konntest und kannst und auf dem Weg bist sie zu verarbeiten – soweit es halt eben möglich ist. Beim lesen deines Blogs musste ich schwer kämpfen um meine Tränen zurückzuhalten, wär ich nicht im Büro würden sie ungehemmt fliessen. Mit jedem Wort sind meine eigenen Gefühle und Erinnerungen hochgekommen und ich habe die stille Geburt unserer Sternenprinzessin – obwohl sie bereits über 2 Jahre (um genau zu sein fast 27Monate) her ist – erneut durchlebt. Du schreibst es richtig, die Trauer verändert sich, wird milder, leiser… das Vermissen hingegen ist kein bisschen weniger geworden. Und dies obwohl wir seit fast 15 Monaten unseren kleinen Prinzen, unseren Sonnenschein im Arm halten dürfen. Das Gefühl, dass ein Teil von uns fehlt ist mal stärker mal schwächer, aber immer da… ich hoffe ich werde irgendwann mit dieser Sehnsucht nach meiner Prinzessin umgehen können…
Ich drücke dich von Herzen,
Florence mit Malaika im Herzen und dem kleinen Prinzen an der Hand.
Liebe Florence,
tausend Dank für deine lieben Worte, für das Teilen deiner Geschichte und das du meinen Blog verfolgst. Es bedeutet mir wirklich viel. Es tut mir so leid, dass ihr etwas ähnliches durchmachen musstet. Es sind diese Geschichten, die einen immer wieder innehalten lassen. Das Leben ist so kostbar und es kann sich von einen auf den anderen Tag katastrophal ändern. Wir alle haben still unsere Päckchen zu tragen. Umso schöner, wenn sie mal wieder jemand laut teilt. Danke dafür!
Sei auch ganz lieb gedrückt! Eine Kerze brennt heut Abend auch für Malaika.