Tintenschmerz

Geschrieben von Franzi

22. August 2017

Als vor vielen Jahren meine geliebte Oma starb, hatte ich keine Ahnung, wie ich mit dem Schmerz umgehen soll. Ich habe alles verdrängt und die Emotionen ins hinterste Eckchen meines Herzens geschoben. Es hat Jahre gedauert, bis ich nach und nach die Gedanken an sie zulassen konnte. Irgendwann kam dann der Wunsch mir eine ganz eigene Erinnerung an sie zu schaffen. Etwas, das mir ganz nah ist und ich nie verlieren kann. Etwas Schönes, das symbolisch für sie steht und ich immer anschauen kann, wenn ich sie vermisse. Ich wollte ein Tattoo. Total bizarr…ich und ein Tattoo. Ich hatte nie eins gewollt und doch fühlte es sich auf einmal sooo richtig an. Es sollte nicht irgendein Schriftzug mit ihrem Namen, oder ein Herz, eine Feder, oder sonst etwas das symbolisch für den Tod steht, werden. Ich wollte etwas, das wirklich nur für sie steht und nicht sofort an ein Gedenktattoo erinnert.
Als Kind habe ich unendlich viel Zeit im Garten meiner Grosseltern verbracht. Meine Oma hat Blumen geliebt. Das ist etwas, das ich immer mit ihr verbinde. Daher sollte es eine Blume sein. Es hat allerdings nochmal fast zwei Jahre gedauert, bis ich das richtige Motiv und den Mut zum Stechen lassen gefunden hatte. In Zürich hatte ich das Glück an einen unheimlich talentierten, jungen Künstler zu geraten. Er hat meine Hortensie wunderschön umgesetzt. Sie ist perfekt. Ich liebe sie. Sie ziert meinen linken, inneren Oberarm und ist somit ganz nah an meinem Herzen.

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Tattoo by Roony @ Giahi Löwenstrasse, Zürich

Als Lennis starb, habe ich schon vom Spital aus meinen Tattowierer kontaktiert. Als er mir die Hortensie stach, war ich grad ganz frisch mit Lennis schwanger. Er gab mir den guten Rat jetzt nichts zu überstürzen und etwas Zeit vergehen zu lassen, da ich nicht mit einem traurigen Tattoo enden sollte. Er hatte Recht und trotzdem stand ich nur wenige Wochen später bei Joe in Wädenswil vor der Tür. Ich brauchte etwas, das mich an Lennis erinnerte. Irgendetwas, das mir immer aufzeigte, dass Lennis wirklich gestorben ist, dass es kein Traum ist. Und ich brauchte es JETZT!  Ich hatte natürlich schon Pinterest hoch und runter nach Ideen abgeklappert und fand das Motiv zweier Pfeile auf meinem Unterarm wunderschön. Einen für Finnley und einen für Lennis. Die Pfeilspitzen vom Körper weggehend, nach vorne, in die Zukunft weisend. Pfeile haben für mich auch noch eine andere Symbolik. Um fliegen zu können müssen sie gespannt werden. Das heisst, irgendetwas muss einen erst zurückziehen, um dann mit viel Kraft vorwärts kommen zu können. Lennis’ Tod hat mich zurück geworfen, aber der Pfeil soll mich immer daran erinnern, dass es auch wieder vorwärts geht. Lennis’ Pfeil hat auch noch ein kleines Sternchen vor seinem Namen – mein geliebtes Sternenkind.
Joe ist so einfühlsam mit mir umgegangen. Er hat die Pfeile wunderschön entworfen und gestochen. Ich sehe sie jeden Tag und ich bin stolz meine beiden Söhne auf der Haut tragen zu können.

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Tattoo by Joe @ Freak Tattoo, Wädenswil

Die Pfeile waren für mich ein „quick-fix“. Ich hatte mir dringend eine Erinnerung schaffen müssen. Eine Verbindung zu meinem Baby. Aber ich wollte mehr. In den letzten 3 Monaten habe ich viel über mich und über Trauer gelernt. Ich habe tausende tröstende Sprüche gelesen. Habe viel Musik mit bedeutungsschweren Texten gehört. Und einige davon sind zu meinen steten Begleitern geworden. Aus ihnen entstand eine neue Tattoo-Idee – ich wollte einen Berg mit einem Sternenhimmel.
Der Berg steht symbolisch für die Aufgabe, die uns zugeteilt wurde. Zwei Sprüche haben mir in dem Zusammenhang viel Kraft gegeben: „You have been assigned the highest mountain to show others it can be moved.“ und „After the highest climb comes the nicest view.“ Mit dem Tod meines Kindes ist mir eine Monsteraufgabe auferlegt wurden und doch habe ich mich auf den Weg gemacht. Ich nehme jeden Tag all meinen Mut und meine Kraft zusammen, um mich diesen Berg hoch zu kämpfen. Immer in der Hoffnung, dass ich irgendwann sehen werde, was dahinter liegt.
Ausserdem hat ein Lied, das ich zufällig im Facebook gefunden habe, mich sehr berührt – „Everglow“ von Coldplay. Schon die ersten Zeilen gehen so tief, dass mir fast immer die Tränen kommen. Hier ein paar Textauszüge:

«Oh, they say people come
Say people go
This particular diamond was extra special
And though you might be gone
and the world may not know
Still I see you, celestial»

«But when I’m cold, cold
Oh, when I’m cold, cold
There’s a light that you give me
when I’m in shadow
There’s a feeling you give me, an everglow»

Lennis ist immer bei mir. Egal wie es mir geht. Sein Licht wird mir immer den Weg leuchten.
Dieses Lied bringt mich so oft zum weinen. Es ist so treffend, dass es weh tut. Und doch gibt es Kraft. Es erinnert mich daran, dass er immer bei mir ist.
Symbolisch für diesen Song steht der Sternenhimmel über dem Berg. Die weissen Sterne auf meiner Haut, stehen für Lennis` ewiges Leuchten.
Gestochen wurde es vor etwas mehr als einer Woche, während meines Heimatbesuchs in Dessau. Joeri hat meine Idee ganz wundervoll umgesetzt. Seine feinen Linien zieren nun meinen rechten Unterarm.

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Tattoo by Joeri @ Saint and Sinners Tattoo, Dessau

Ich trage alle meine Tattoos mit ganz viel stolz. Sie sind ein Denkmal für meine Liebe. Es gibt viele Menschen in meinem Umfeld, die nicht verstehen können, was mir diese Tattoos bringen und wie sie mir helfen. Es ist unheimlich schwer das zu erklären. Da ist diese tiefe, unstillbare Sehnsucht nach Nähe. Wie können mir die beiden näher sein, als auf meiner Haut? Sie sind wortwörtlich «hautnah». In der Trauer dreht sich so viel um «festhalten wollen» und «loslassen müssen». Jetzt wo ich sie immer bei mir trage, kann ich langsam loslassen. Sie sind ein Teil von mir, festgehalten auf meiner Haut. Niemand kann sie mir nehmen und ich kann sie auch nicht verlieren (wie es bei meinem Schmuck immer der Fall ist). Sie sind kein Modetrend oder aus einer Laune heraus gestochen. Sie sind aus grosser Liebe und tiefer Sehnsucht entstanden. Sie symbolisieren genau das, was ich fühle und sind meine Brücke ins Jenseits.

P.S.: Liebe Sternenmama, wenn ihr wollt, schickt mir doch eure Gedenktattoos, zusammen mit eurer Geschichte. Ich würde gerne einen weiteren Post dazu machen. Mail an Franzi

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