Novembergrau

Geschrieben von Franzi

5. Dezember 2018

Draussen ist es nass und kalt. Seit Tagen regnet es. Kein Stückchen Sonne ist zu sehen und so langsam scheint der dicke, graue Nebel da draussen auch mir auf´s Gemüt zu schlagen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Weihnachten immer näher rückt. Das zweite Weihnachten ohne Lennis. Das erste Weihnachten mit unserem Folgewunder. Vielleicht ist es diese “besinnliche Zeit”, in der wir uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist für uns. In der wir uns auf unsere Familie besinnen und merken, dass ein Teil immer noch schmerzlich fehlt. In der ich wieder überlege, wie ich unseren Stern in das Weihnachtsfest integrieren kann. Wie er Teil sein kann auf seine unsichtbare Weise.

Aber mir liegt auch noch etwas anderes auf dem Gemüt. Lennis plötzliches Versterben wurde ja als aussergwöhnlicher Todesfall eingestuft und liegt nun seit genau 1 Jahr und 7 Monaten bei der Staatsanwaltschaft. Bis heute kennen wir das Obduktionsergebnis nicht. Wissen nicht was passiert ist. Ein grosses Fragezeichen, dass immer im Raum schwebt. Ich hab es lange versucht zu ignorieren, aber irgendwann muss es doch mal abgeschlossen werden. Damit wir wirklich Frieden finden können. Ich habe vor zwei Wochen den neuen Staatsanwalt kontaktiert. Er sagte mir, dass unser Fall jetzt bei einem Professor in Bern liegt für ein neutrales Gutachten. Er soll herausfinden, ob irgendjemand einen Fehler gemacht hat. Diese Info hat ziemlich gesessen. Bisher sind wir immer davon ausgegangen, dass Lennis krank war und das ist etwas, womit ich Frieden gefunden hatte. Es wäre sein Weg gewesen. Etwas, das wir nicht hätten ändern können. Ein Ärztefehler bringt aber eine ganz neue Dimension dazu. Denn es würde bedeuten, es wäre vermeidbar gewesen und Lennis könnte noch hier sein. Diese Gedanken bringen mich ganz schön durcheinander. Mir sind die beteiligten Ärztinnen alle sehr ans Herz gewachsen und ich weiss, dass es für uns alle ein Schock war. Ich wünsche keiner von ihnen mit einem fatalen Fehler leben zu müssen. Von mir aus könnten sie den Fall einfach abschliessen. Was auch immer sie rausfinden, es ändert nichts an der Tatsache, dass Lennis nicht bei uns ist. Nichts bringt ihn wieder zurück. Und trotzdem nagt der Gedanke an mir. Was ist, wenn wirklich ein Fehler passiert ist? Was mache ich dann? Mache ich gar nichts, weil ich weiss, dass niemand absichtlich etwas falsch gemacht hat? Stelle ich Schadensersatzforderungen? Immerhin hatten wir auch eine Menge Kosten. Nicht zu sprechen von den seelischen Schmerzen, die nicht in zahlen zu fassen sind. Durch Zufall habe ich am Wochenende erfahren, dass uns Opferhilfe zusteht. Dass wir kostenlos anwaltliche Hilfe bekommen können. Niemand hat uns darüber informiert. Ich habe sogar mit einer Anwältin gesprochen, die schockiert war, dass es schon so lange geht, ohne, dass wir etwas erfahren haben. Jetzt sitze ich vor dem Telefon mit der Nummer der Opferhilfe und frage mich, ob das alles richtig ist was ich hier mache. Normalerweise lasse ich die Dinge einfach passieren. Ein Zufall hat mir die Nummer der Anwältin zugespielt und ich bin dem einfach gefolgt. Sie sagte ich soll die Opferhilfe anrufen und da sitze ich nun und zweifele. Ich versuche ein Zeichen von Lennis zu bekommen. Soll ich uns wirklich einen Anwalt nehmen? Was sind die Konsequenzen? Was bedeutet das für die Ärzte? Soll ich warten bis das Gutachten aus Bern zurück kommt? Haben wir nicht aber schon so lange gewartet? Ich weiss nicht was ich machen soll….

Vielleicht ist eine Pause nicht schlecht. Ich merke wie es mich zunehmend durcheinanderbringt und in Wunden stochert, die ich seit einiger Zeit versucht hab zu ignorieren. Atmen… ein Schritt vor den anderen. So wie es ertragbar ist…

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