Antworten oder auch nicht

Auf der Suche nach Antworten

Geschrieben von Franzi

6. Februar 2019

Seit meinem letzten “Fragezeichen” Artikel habe ich viele tröstende Kommentare und Mut machende Worte von verschiedensten Seiten erhalten. Diese liebevolle Unterstützung tut so gut. Viele haben später auch gefragt, wie der Termin beim Staatsanwalt ausgegangen ist und ich denke, ich bin euch ein paar Antworten “schuldig”. Ich muss dazu sagen, dass es einige Zeit gedauert hat, alles für mich zu sortieren. Die ersten Tage war ich sehr durcheinander und auch wütend. Es hat einige Gespräche mit Freunden, Familie und auch Fachleuten gebraucht, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Antworten aus dem Obduktionsbericht

Als Todesursache steht im Bericht ganz klar auf der ersten Seite: Sauerstoffunterversorgung bei hochgradiger chronischer Mutterkuchenfunktionsstörung mit Zeichen der fetalen Durchblutungsstörung. Mit Zeichen eines intrauterinären Sauerstoffmangels in Form von Stressinvolution des Thymus, terminale Herzmuskelzelluntergänge und frischen Einblutungen des Herz-, Lungen-, Nieren- und Nebenierengewebes. Ausserdem lagen Verkalkungen des Nebennierengewebes vor, als Folge des chronischen Sauerstoffmangels. (entschuldigt die Fachwörter, vieles ist mir auch noch nicht ganz klar)

Weiterhin gab es Zeichen für ein mögliches angeborenes bzw. genetisch bedingten Syndroms: Dysmorphiezeichen, zu klein, zu leichte Milz und Nebennieren, stark unterentwickelter Thymus. Die Tests auf klassische, bekannte Gendefekte fielen aber negativ aus. Was allerdings nicht auschliesst, dass ein unbekannter bzw. wenig bekannter Defekt vorgelegen hat. Muss nicht, kann aber…

Man geht davon aus, dass die Plazentainsuffizienz schon mehrere Wochen vorgelegen hat und nach und nach zum verzögertem Wachstum von Lennis geführt hat. Vielleicht fragt ihr euch jetzt, warum das niemand vorher gesehen hat. Ich hatte den letzten Ultraschall 4 Wochen vor Termin und da wurde Lennis auf 2600 Gramm geschätzt, was für diese Schwangerschaftswoche absolut normal ist. Ich hatte immer alle 4 Wochen einen Ultraschall und sein Wachstum war immer normal. Es muss also in den letzten vier Wochen zur Plazentainsuffizienz gekommen sein. Zwischendurch war ich gegen Ende fast wöchentlich bei meiner Hebamme zum CTG schreiben. Auch das war immer unauffällig. Den letzten Termin hatte ich am Geburtstermin, nur Stunden bevor die Geburt von alleine losging. Dort wurde er wieder auf 2600gr geschätzt, was mich gewundert hat. Da das alles aber immer nur Schätzwerte sind, hab ich mir keine weiteren Gedanken gemacht. Die Ärztin stellte dort schon eine leicht schlechtere Plazentafunktion vor, was aber wohl in der Schwangerschaftswoche passieren kann. Ich sollte einfach täglich zur Kontrolle kommen.

Antworten aus dem Gutachten

Das Dauer-CTG unter der Geburt war immer unauffällig. Erst in der Schlussphase, als ich schon Presswehen hatte, wurde das CTG pathologisch und zeugte von einer schweren Sauerstoffunterversorgung. Sobald ein CTG pathologisch wird, muss innerhalb der nächsten 30 Minuten das Kind per Kaiserschnitt geholt werden. Im Paracelsus hat man 40 Minuten gebraucht, da man noch versucht hat Lennis mit der Saugglocke zu entbinden. Dieser Versuch wird vom Gutachter als vertretbar gewertet, da ich Zweitgebärende war und solche Versuche meistens gelingen. Letztendlich ist auch nicht klar, ob diese 10 Minuten etwas am Ausgang verändert hätten. Der Zustand von Lennis nach der Geburt war schlecht. Er erholte sich aber zügig mit einem Agpar von 5/9/9. Er brauchte Unterstützung durch Sauerstoffgabe, konnte aber selber atmen und sogar etwas Milch trinken.

2 bis 2,5 Stunden später, mit Eintreffen der Kinderärztin, verschlechterte sich sein Zustand aber massiv. Er wurde von der Neonatologin reanimiert, da er aufgehört hatte zu atmen. Leider blieben sämtliche Massnahmen erfolglos und Lennis starb um 11:12 Uhr.

Auch der Gutachter kann sich Lennis plötzliches Versterben nicht erklären, wo er sich doch eigentlich gut erholt hatte. Er bezeichnet den Verlauf nach der Geburt als absolut “ungewöhnlich”. Es ist dieses ratlose Achselzucken, das ich schon so oft von den Fachleuten in Bezug auf Lennis Tod gesehen hatte. Keiner kann sich erklären, warum er sich erst erholte, um sich dann 2 Stunden später so rapide zu verschlechtern.

Der Gutachter bemängelt aber ein wenig, dass bei der Untersuchung am Vortag nicht weiter reagiert wurde. Auch wenn alle Entscheidungen im vertretbaren Rahmen lagen, auf Grund meiner komplikationslosen ersten Geburt. Er hätte trotzdem drei Möglichkeiten in Betracht gezogen:

  1. sofortige Einleitung noch am Vortag, als eine schlechte Versorgung und ein zu kleines Baby festgestellt wurden. Allerdings gingen meine Wehen ein paar Stunden später von alleine los. Ob ein paar Stunden früher etwas gebracht hätten, ist fraglich.
  2. sofortiger Kaiserschnitt, um dem Kind eine Geburt zu ersparen
  3. Überweisung in eine Klinik mit Neonatologie

Mein Fazit

Natürlich kann man das Vorgehen diskutieren und sich den Kopf darüber zerbrechen. Glaubt mir, das habe ich tagelang gemacht. Irgendwie hat mein Bauchgefühl mir aber immer gesagt, dass es so kommen sollte, wie es gekommen ist. Was wäre denn gewesen, wenn sie ihn im Kinderspital gerettet hätten? Wäre er sehr krank gewesen? Hätte er vielleicht einen schweren Gendefekt gehabt? Hätte er ein schönes Leben gehabt? Wie wäre das für uns gewesen? Für Finnley? Hat er uns vielleicht einfach die Entscheidung abgenommen? Dieser letzte Gedanke wäre mein einziger Trost. Zu wissen, dass er sich selbst und vielleicht auch uns, ein schweres Leben erspart hat. Wir werden es nie wissen und das ist etwas, an das ich mich noch gewöhnen muss. Es klappt schon mehrheitlich, aber hin und wieder nagen die Fragezeichen leider doch. Es braucht halt einfach seine Zeit.

Ich habe nächste Woche noch ein Gespräch mit der Neonatologin, die damals anwesend war. Ich bin gespannt, wie sie den Bericht gelesen und verstanden hat. Ausserdem möchte ich von ihr gerne wissen, was gewesen wäre, wenn Lennis überlebt hätte. Ich muss diese Fragen jetzt stellen. Denn nur wenn ich die Fragen stelle, hören sie langsam auf zu nagen. Vielleicht wühlen mich ihre Antworten wieder auf. Aber das ist okay so. Nur dieses Aufwühlen ermöglicht Heilung. Das musste ich in den letzten 1,5 Jahren, aber auch in den letzten paar Wochen, lernen. Wie ein Erdbeben wird alles durcheinander geschüttelt. Aber nach und nach fällt alles an den Platz, wo es hingehört.

Fakt ist, Lennis fehlt und NICHTS wird ihn wieder zurückbringen.

 

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