Ist jetzt alles wieder gut? – Gedanken zur Trauer

Gedanken zur Trauer

Geschrieben von Franzi

2. August 2019

*Den folgenden Text hatte ich kurz vor Lennis 2. Todestag geschrieben. Eine Zeit, die überraschenderweise viel schwerer war als beim 1. Todestag. Daher hatte ich mich viel mit dem Thema Trauer auseinandergesetzt. Ich weiss gar nicht mehr, warum ich ihn letztendlich nicht gepostet habe. Daher mache ich es jetzt.

Der 6. Mai rückt immer näher. Lennis wird seinen zweiten Himmelsgeburtstag feiern. Den zweiten schon. Umso näher der Tag rückt, umso mehr Emotionen wirbeln hoch. Werden wieder bewusster und rücken mehr in den Fokus. Heute vor zwei Jahren war ich hoch schwanger und wartete, dass die Geburt endlich losgehen würde. Unwissend, was uns bevorstehen würde. Zwei Jahre, die wie eine Ewigkeit erscheinen und sich doch wie gestern anfühlen. Zwei Jahre gefüllt mit Leben und Lennis Tod. 730 Tage ohne Lennis. 365 Tage mit zwei lebenden Kindern an der Hand.

“Ist jetzt alles wieder gut?”

Ein Kollege fragte mich vor ein paar Monaten wie es mir geht und um ehrlich zu sein, ist diese so selbstverständliche und einfach dahin gesagte Frage, doch schwierig zu beantworten. Ich habe, so wie ich es immer tue, versucht den Mittelweg zu gehen und zu schauen wie der andere reagiert: “Es geht so…” Ohne darauf einzugehen, sagte mir mein Gegenüber: “Aber Franzi, ist es jetzt nicht wieder gut? Du hast doch jetzt zwei gesunde Kinder und einen Job. Du hast mehr als viele andere sich wünschen. Sei doch glücklich!” BAMM…. Diese Aussage ist mir im Kopf geblieben. Wortwörtlich. Ich höre es heute noch. Und bei allem Verständnis dafür, dass er mich eigentlich “nur aufmuntern” wollte, macht sie mich sprachlos. Wütend manchmal. Sie nimmt mir das Recht um meinen Sohn zu trauern, weil ich ja nun ein Baby in den Armen halten darf. Sie fordert mich auf ein Ende für meine Trauer zu finden. Stattdessen soll ich dankbar und glücklich sein. Als wären das Leben und der Tod von Lennis nur Momente in meinem Leben, die ich zurücklassen kann. Nein, es ist nicht wieder gut. Mein Kind ist immer noch tot. Nichts kann das wieder gut machen.

Mein Glück schätze ich trotzdem

Auf eine Weise hat er ja Recht. Ja, es geht mir gut. Das Leben ist schön. Ich bin dankbar für meine zwei Kinder an der Hand, für meinen Partner, meinen Job, meine wunderschöne Umgebung. Unendlich dankbar und ich weiss es mehr als zu schätzen. Aber das bedeutet nicht, dass ich Lennis hinter mir gelassen habe oder dass ich ihn nicht mehr vermisse.

Ich könnte jetzt wütend auf meinen Arbeitskollegen sein. Aber ich bin es nicht. Er gibt nur wieder was in unserer westlichen Kultur gelebt wird: wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, ist es uns erlaubt eine Zeit lang zu trauern. Am besten aber nicht zu öffentlich. Zu laut trauern verursacht Unbehagen. Zu intensiv trauern gehört zum Psychiater. Und zu lange trauern kann ja nicht gesund sein. Loslassen ist das Zauberwort. Stark sein und weiter machen ist die Devise. So wird es uns vorgelebt. So haben wir es gelernt.

Sie liegen falsch, Herr Freud!

Siegmund Freud hat 1915 mit seinem Werk “Trauer und Melancholie” in der Psychologie den Grundstein für dieses Denken gelegt. Freud definiert Trauerarbeit als Loslösen der emotionalen Verbindung zum verlorenen Objekt. Empfindungen, Vorstellungen, Fantasien und Wünsche, die mit der verlorenen Person verknüpft waren, müssen gelöst werden, um die Fähigkeit zu erlangen, wieder neue Beziehungen einzugehen und weiter zu machen. So sagte auch mein Psychologe zu mir: “Frau Kern, sie müssen ihren Sohn loslassen, um Energie für ihre lebenden Kinder zu haben.” BAMM… Nein Danke, auf Wiedersehen!

Die Psychologie der Trauer hat in den vergangenen Jahren eine Menge an Erkenntnissen zutage gefördert und gleichzeitig vermeintliches Wissen als das entlarvt, was es ist: als Meinung über einen Gegenstand, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Aber aus Vorstellungen und kulturellen Überlieferungen entstanden ist. Der Tod ist in unserer Kultur ein Thema, das von Trauer und Stille gekennzeichnet ist. Ihm hängt häufig ein Tabu an. Wir tragen schwarz, weinen, leiden und sprechen nicht viele Worte. Wir versuchen hinter uns zu lassen, was vergangen ist und uns neuem zu zu wenden. Und das am besten relativ zügig.

Die Arbeitswelt lebt es vor

Schauen wir doch alle einfach mal in unser jeweiliges Mitarbeiterhandbuch von der Arbeit. Wieviele Tage bekommen wir zum Trauern? Bei mir sind es drei! Drei Tage um die Liebes meines Lebens, mein Kind oder meine Eltern zu betrauern und mein Leben neu zu sortieren. Drei Tage!! Das bedeutet, am Dienstag stirbt dein geliebter Mensch, am Freitag ist die Beerdigung und am Montag heisst es: ” Es tut mir leid, aber jetzt musst du zurück an die Arbeit. Bitte weitermachen. Mein Beileid.” Wenn wir Glück haben, haben wir einen verständnisvollen Manager, der wegschaut und uns mehr Zeit gibt. Aber irgendwann wird auch seine Geduld an ihre Grenzen kommen. Man fordert hier von uns in etwas effizient und gut zu sein, das aber chaotisch und nahezu unmöglich zu bewältigen ist.

Es betrifft uns alle

Tod und Verlust wird jeden von uns eines Tages treffen. Spoiler Alarm: Wir alle haben eine 100% Chance früher oder später einen geliebten Menschen zu verlieren. Es betrifft jeden von uns. Aber wir werden es erst verstehen, wenn wir selber betroffen sind. Wenn wir es sind, die in der ersten Reihe bei der Beerdigung stehen. Wenn es unsere eigene Trauer ist. Nora McInerny, hat es auf den Punkt gebracht: “You don´t get it until you get it.” Weise Frau.
Wenn es so unausweichlich ist, was können wir dann tun?  Was können wir füreinander tun?

Wir können uns daran erinnern, dass manche Dinge einfach nicht repariert werden können. Manche Wunden werden niemals heilen. Wir können uns helfen daran zu denken, dass Trauer eine multitasking Emotion ist. Dass man traurig sein kann und glücklich. Das man lieben kann und trauern. Gleichzeitig, im selben Atemzug. Eine trauernde Person wird irgendwann wieder lachen können. Ja sie wird weitermachen. In ihrem ganz eigenen Tempo. Aber das bedeutet nicht, dass sie losgelassen oder hinter sich gelassen hat. Und das wird sie auch nie. Trauer ist nicht etwas, dass man einfach überwinden kann. Es verändert uns und unser Leben komplett. Sie macht einen neuen Menschen aus uns. Eine neue Zeitrechnung beginnt. Sie teilt das Leben in “Davor” und “Danach”. Davor ist vorbei und wird niemals wiederkommen. Es gibt nur noch Danach. Und das Danach braucht Zeit, Verständnis, Geduld und offene Herzen.

Glück und Trauer – Gemeinsam

Ich lebe jetzt seit zwei Jahren in diesem Danach und noch heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Lennis denke. Mehrfach. Genauso oft wie ich an meine lebenden Kinder denke. Wäre es nicht schön, wenn wir unseren Umgang mit dem Tod ändern würden? Wenn wir das Konzept des Loslassens durch ein Konzept des Integrierens ersetzen würden? Wenn es einfach OK wäre die, die wir so sehr vermissen, Teil unseres Lebens sein zu lassen? Und unsere geliebten Menschen auch noch nach einem, fünf oder zwanzig Jahren vermissen zu dürfen? Wenn sie einen Platz bekommen würden. Keinen versteckten, im stillen Kämmerlein. Sondern ganz offen und natürlich. So wie es für jeden einzelnen stimmt.

Trauer ist doch letztendlich nichts anderes als Liebe. Wir können unsere Liebe nicht mehr körperlich oder verbal der verstorbenen Person mitteilen. Das heisst aber nicht, dass diese Gefühle nicht mehr da sind. Sie brauchen trotzdem ihren Platz. Es sollte okay sein tiefe Trauer zu empfinden und gleichtzeitig das zu schätzen, was man hat. Das eine schliesst das andere nicht aus. Ich muss nicht nur glücklich sein und ich muss nicht nur traurig sein. Unsere Herzen sind viel grösser als wir denken.

Nein, es ist nicht immer alles gut. Manchmal ist es nur dreiviertel gut. Und das ist OK so.

 

https://stillsherises.blog2018/09/21/schmerz-im-herz/

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