Shinrin Yoku oder mein Abenteuer Waldbaden

Waldbaden

Geschrieben von Franzi

7. Oktober 2019

Ich habe mich dieses Wochenende mal auf ein kleines Abenteuer eingelassen – ich war Waldbaden. Ein für mich komplett neuer Begriff, den ich aber irgendwie witzig und interessant fand. Zu verdanken hatte ich das Ganze meiner Himmelskind Kollegin Janine, die sich für den Kurs angemeldet hatte. Und weil es so interessant klang, habe ich mich grad mit angemeldet.

Bäume umarmen?

Natürlich war ich recht neugierig und wollte wissen, was mich da nun erwarten würde und habe ein paar Youtube Videos angeschaut. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich kurz davor war, meine Anmeldung wieder zu canceln. Die Idee vom Waldbaden an sich ist wirklich spannend (und offensichtlich auch ein an mir vorbei gegangener Trend): den Wald achtsam und respektvoll erleben, mal das eigene tägliche Tempo entschleunigen und wieder in Beziehung mit der Natur gehen. Und doch kam es mir etwas sehr esoterisch vor, wenn ich den Menschen in den Videos dabei zuschaute, wie sie langsam durch den Wald schritten, alles berührten, an Blättern rochen und Bäume umarmten.

Achtsamkeit bedeutet ja unter anderem, den Dingen und Menschen im Leben wertfrei zu begegnen. Also entschloss ich mich dazu offen zu sein und diese Erfahrung mitzumachen. Ein Teil von mir war ja trotzdem neugierig, ob ich nicht vielleicht doch ein grosses Aha-Erlebnis haben würde. Ausserdem bin ich auch immer auf der Suche nach Methoden und Aktivitäten für meinen Werkzeugkoffer in der Begleitung von trauernden Eltern. Die Natur bietet dafür eine wundervolle Grundlage. Wenn man den Boden unter den Füssen verloren hat und sich so unendlich verloren fühlt, kann es sehr hilfreich sein in den Wald zu gehen und den Boden wieder zu spüren. Sich wieder zu erden und den Fokus in das Hier und Jetzt zu holen. Zudem sind Bäume so symbolisch für Kraft, Halt und Verwurzelung. In meinen ätherischen Duftölmischungen benutze ich gerne Baumdüfte, da sie eben genau das stärken.

Auf geht´s zum Waldbaden

Von daher ging es letztes Wochendende ab in den Wald zum Waldbaden. Wortwörtlich sogar, denn beide Tage waren total verregnet und kalt. Waldbaden auf fortgeschrittenem Niveau, dachte ich mir und zog mich dementsprechend warm und wasserfest an. So wasserfest wie ich es zur Hand hatte… Wer mich kennt, weiss, dass ich nicht wirklich Outdoor-technisch ausgestattet bin. Eine einigermassen wasserfeste Jacke hatte ich aber noch und Janine, hatte ein paar bequeme Gummistiefel.

So stiefelten wir also im Regen in den Wald und sobald wir ihn erreicht hatten, ging es ans Entschleunigen. Gaaaaaanz langsam laufen. Und ich meine wirklich GANZ langsam. Meine beiden Mitstreiterinnen waren schon geübt und fanden scheinbar super easy in den Rhythmus des Shinrin Yoku (so heisst Waldbaden auf Japanisch – da kommt es nämlich her). Sie glitten in aller Seelenruhe und friedlichster Vertieftheit von Blatt zu Blatt, als würde es nichts anderes um sie herum geben.

Mein Kopf ist da etwas anders gepolt. Sobald ich versuche vom Alltag abzuschalten und in einen Zustand des Nicht-Denkens zu kommen, entscheidet sich mein Kopf für Party und bombadiert mich mit all den tausend Dingen, die ich noch machen muss, möchte, sollte, könnte, dürfte, wollte. So fiel es mir dementsprechend schwer richtig im Wald anzukommen und ich hatte eher das Gefühl durch den Wald zu wanken. Denn wenn man wirklich GANZ langsam geht, verliert man erstaunlich oft das Gleichgewicht.

Mit allen Sinnen

Unsere Kursleiterin Zoë, hat uns dann anhand kleiner Übungen geholfen, uns mehr zu fokussieren. So sollten wir zum Beispiel den nächsten Wegabschnitt ganz besonders mit der Nase wahrnehmen. Also schritt ich mit erhobener Nase durch den Wald und begann zu schnuppern. WOW… da war mein erstes grosses Aha-Erlebnis. Wenn man sich beginnt darauf zu konzentrieren und mal ganz bewusst zu riechen, eröffnet sich auf einmal eine Welt voller wundervoller Gerüche. Ich roch auf einmal den nassen Lehmboden, die feuchte Erde, das Moos. Mit jedem Schritt veränderte sich der Geruch, gab es etwas neues zu riechen.

Als ich mich umblickte und sah wie unsere Kursleiterin an einem Blatt roch und meine Mitstreiterin mit der Nase am Baum stand, kam in mir eine Gegenwehr hoch. Das sah komisch aus, das war mir peinlich und ich wollte nicht. Also ging ich so weiter und roch was auch immer mir im Laufen in die Nase kam. Ich lief an all den vielen Blättern vorbei, bis mich dann doch die Neugier besiegte, ich mich heimlich umsah und an dem verdammten Blatt vor mir roch. Okay, fair enough, es war ein überraschend angenehmer Geruch und dieses ablehnende Gefühl, das ich hatte, war nur meine eigene Scham. Woher auch immer sie kam. Sollen doch die Leute denken was sie wollen, ich schnuppere heute eben an Bäumen und Blättern. So what?

Wenn man anfängt sich ganz auf die Sinne zu konzentrieren, wird der Wald auf einmal magisch. Man hört das Tröpfeln des Regens auf den Blättern über sich, den Gesang der Vögel, die gedämpften Geräusche des Waldes oder das Rauschen des kleinen Bächleins neben sich. Wenn man sich dann mal ans Wasser setzt und den kleinen Strom beobachtet, kommt man grad ins philosphieren. Dieser kleine Bach war so symbolisch. Wie der Fluss des Lebens, mit ruhigeren Phasen, Weggabelungen, Hindernissen, Strömungen und Wildwasser. Von der einen Seite betrachtet sieht das Wasser ganz ruhig aus, setzt man sich dann aber ein Stück Fluss aufwärts, merkt man plötzlich, dass diesem ruhigen Abschnitt ein Wasserfall mit ganz aufgewühltem Wasser vorrausging. Was für eine spannende Betrachtung. Denn wie oft sind wir neidisch auf scheinbar glückliche Menschen, ohne ihre Geschichten zu kennen. Ohne zu wissen was sie erlebt haben, welch Wildwasser ihr Leben aufgewühlt hat.

Loslassen und Zulassen

Wenn wir anfangen uns Zeit zu nehmen und richtig hinzusehen, eröffnet sich uns eine Welt voller wundersamer, unentdeckter Details. Das gelingt nicht in unserem schnelllebigen Tempo. Diese Erkenntnis kam mir immer deutlicher, umso mehr ich losliess, eintauchte und mich darauf einliess. In diesem Wald gab es so viel zu entdecken und ich spürte einen mir völlig unbekannten Impuls, noch tiefer in den Wald zu gehen. Wälder machen mir eigentlich Angst, vor allem wenn sie dunkel und verwachsen sind. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich gar nicht genug von all den verwunschenen und verwachsenen kleinen Pfaden.

Es gab so viel Schönes und Aufregendes zu entdecken. Ich konnte zum ersten Mal vestehen, warum meine Kinder im Wald ständig und überall stehen bleiben. Wie kann man auch weiterlaufen, wenn auf einmal ein knalloranger, korallenartiger Pilz neben einem aus dem Moos wächst? Oder man in einem umgestürzten Baumstamm hunderte runder Schneckeneier entdeckt? Oder das Spinnenhaus unter der Baumwurzel?

 

Wenn man dann in vollem Ausmass erkennt, wie wunderschön dieser vor Feuchtigkeit triefende, moosige Herbstwald ist – dann ist man angekommen. Im Hier und Jetzt. In einer anderen Welt. Weit entfernt vom hektischen Büroalltag und Haushalt. Da spielen auch Kälte und Nässe keine Rolle mehr. Und die tiefe Befriedigung, die dann ein einfaches Feuer und eine heisse Boullion bringen, ist unbezahlbar. Es ist eine wertvolle Erkenntnis. Wieviel wir immer denken, dass es braucht um glücklich zu sein. Und wieviel es eigentlich tatsächlich braucht.

Sicherlich sollte es für eine solche Erkenntnis keinen Waldbaden Kurs brauchen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Erfahrung anders auch gemacht hätte. Das spielt letztendlich auch gar keine Rolle. Denn eine Kunst der Achtsamkeit ist es nicht zu werten und die Dinge so zu repektieren, wie sie sind.

Mein Fazit?

Ich habe (noch) keinen Baum umarmt. Für mich hat das noch nicht gestimmt. Und das ist weder schlecht noch gut. Es ist einfach so wie es ist und es ist okay so. Und wenn die anderen Bäume umarmen wollen, dann ist das genauso okay. Und irgendwie auch völlig unesoterisch… was auch immer das eigentlich bedeutet. Wenn man sich mal ein bisschen ins Thema liest, dass Bäume kommunizieren können. Dann ist es auch gar nicht mehr so komisch einem Baum eine Umarmung geben zu wollen. (wood-wide-web)

Ich habe dieses Wochenende mit all seinen Herausforderungen und Schwierigkeiten sehr genossen und ich werde mir jetzt viel öfter Auszeiten im Wald nehmen. Vielleicht werde ich nicht ganz so langsam laufen, wie Shinrin Yoku es vorlebt. Aber ich werde den Wald viel achtsamer und mit all meinen Sinnen wahrnehmen.

Danke an Zoë von www.achtsamkeitimwald.ch für deine Offenheit, dein Verständnis und all deine wertvollen Inputs. Und danke auch an Janine und P. – ich habe dieses kleine Abenteuer mit euch sehr genossen!

 

 

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