Angst in der Trauer
und wie du einen guten Umgang mit ihr finden kannst
Die Angst kam als Überraschungsgast. Als wäre die Trauer nicht schon an sich ein einnehmender und mehr als anspruchsvoller Dauergast. Nun gesellte sich auch noch die Angst dazu – unerwartet und vor allem uneingeladen.
Ich war nie wirklich ein ängstlicher Mensch. Okay – ich mag keine Spinnen und spreche auch nicht gerne vor grossem Publikum. Wenn es sein muss, schaffe ich das aber trotzdem. Mit dem Verlust meines Sohnes ist mir der Tod zum ersten Mal so richtig nahe gekommen. Und mit ihm kam die Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich Panik und Kontrollverlust. Mein Herz raste, ich fühlte mich unglaublich hilflos – ja machtlos sogar.
Ich hatte Angst um meinen lebenden Sohn. Wenn ich ihn in die Krippe brachte, konnte ich ihn kaum loslassen. Vor der Tür kämpfte ich mit den Tränen und einem fiesen Gedanken: “Was, wenn ich ihn grad zum letzten Mal geküsst habe? Was, wenn ihm oder mir heute etwas passiert?” Die Angst kroch mir in den Nacken und blieb dort schwerfällig sitzen. Ich versuchte mich zusammenzureissen, doch sie flüsterte mir dieselben Gedanken immer wieder ins Ohr.
Genauso hatte ich Angst um mich und meinen Mann. Was, wenn uns etwas passiert? Ihm oder mir oder gar uns beiden? Dann müsste unser Kind so eine schwere Trauer tragen. (Dieser Gedanke treibt mich auch heute noch um.)
Ich hatte Angst vor der Zukunft. Wie würde sie ohne Lennis sein? Wer würde ich sein? Würden wir auch ein Folgekind verlieren?
Ich stand auf Kriegsfuss mit meiner Angst. Sie lähmte mich, klebte an mir wie ein zu enges T-Shirt und frustrierte mich zutiefst. Ich versuchte mich krampfhaft gegen sie zu wehren, verschloss meine Augen vor ihr. Aber sie verschwand nicht. Ein anderer Weg musste her.
Trauer und Angst – ein bisschen wie Zwillinge
“Wenn die Sehnsucht grösser ist als die Angst, dann wird der Mut geboren.”
– Rainer Maria Rilke –
Angst und Trauer sind sich sehr ähnlich
Wenn man sich im Internet Symptome von Angst anschaut, kann man viele Übereinstimmungen mit den Symptomen von Trauer erkennen. Sie sind sich überraschenderweise ganz schön ähnlich.
Symptome bei Angst: Herzrasen, Atemnot, Kloss im Hals, Druck auf der Brust, Hitzegefühl oder Kälteschauer, Muskelverspannungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Einschlafstörungen, Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit
Kommt dir das in der Trauer bekannt vor? Ich nehme mal an du nickst jetzt gerade. Mir ist noch eine andere Facette aufgefallen, die die beiden verbindet: die Ungewissheit.
Die Trauer katapultiert uns in eine kaum auszuhaltende Ungewissheit: Wie geht es weiter? Überlebe ich das? Sterbe ich jetzt auch? Verliere ich noch weitere liebe Menschen? Wie wird mein Leben ohne meinen geliebten Himmelsmenschen aussehen?
Ungewissheit macht Angst und auch in der Angst ist der Ausgang ungewiss. Wir wissen nicht, ob das, wovor wir uns fürchten, auch eintritt. Die Chancen sind da. Das haben wir schmerzlich erfahren.
Wenn nichts mehr gewiss ist
Denk mal darüber nach – versuchen wir nicht alle unser Bestes im Leben zu geben (die meisten zumindest)? Wir versuchen gesund zu essen, ausreichend zu trinken, uns zu bewegen, Gutes zu tun, freundlich und hilfsbereit mit den Menschen um uns herum zu sein. Alles in der Hoffnung, dass uns und unseren Lieben nichts Schlimmes passiert. Wenn es dann plötzlich doch geschieht, sind wir verletzt, schockiert und in unserem ganzen Glaubenssystem zutiefst erschüttert. Was bleibt übrig? Wo gehe ich hin und wie? Möchte ich überhaupt noch irgendwas erreichen? Nichts macht mehr Sinn und es scheint vergebens, sich um irgendwas zu kümmern. Wir fühlen uns in unserer eigenen Haut nicht mehr sicher. Wem oder was können wir noch vertrauen?
Trauer fühlt sich wie Angst an, da sie an irgendeinem Punkt in unserem Leben Realität für uns geworden ist. Wir haben getan, was wir konnten und trotzdem konnten wir den Tod nicht auf Abstand halten. Wir haben es erlebt, wir wissen und spüren es jeden Tag – stecken mitten drin, in unserem grössten Albtraum. Wir haben wenig Kontrolle über Leben und Tod. Wir kennen den Ausgang nicht. Es ist ein Leben in Ungewissheit. Und das kann grosse Angst machen.
Angst und Trauer sind sich ziemlich ähnlich bzw. schöpfen sie aus ähnlichen Quellen. Ich habe aber mit der Zeit festgestellt, dass sie sich in einem Punkt unterscheiden:
Die Trauer hat sich gewandelt. Sie ist sanfter geworden, überfällt mich nicht mehr so heftig und irgendwo ist sie zu einer wertvollen Begleiterin geworden. Wir kommen gut miteinander zurecht. Die Angst hingegen hat nichts von ihrer Heftigkeit verloren. Sie ist noch immer unberechenbar, springt mich an, wenn ich sie am wenigsten erwarte und schnürt mir noch immer die Luft ab. Noch immer sitze ich hin und wieder vor der Krippe und bete, dass ich meine Kinder am Abend wieder in meine Arme schliessen darf. Klingt vielleicht doof, ist aber so.
Ich habe damit lange gehadert. Es frustrierte mich, dass sie nicht wegging und ich wusste, ich muss umdenken. Es war an der Zeit einen Weg zu finden, mit meiner Angst gut umzugehen. Den Durchbruch hatte ich letztendlich (etwas unkonventionell) mit dem Film “Alles steht Kopf” von Disney Pixar. Hier sind die menschlichen Emotionen als putzige Figuren dargestellt, die man einfach ins Herz schliessen muss. So bekam meine Angst ein Gesicht und wurde viel greifbarer, als das blosse diffuse Gefühl. Hatte ich nun ein Bild für meine Angst, begann ich mit ihr zu kommunizieren. Ich merkte, dass sie etwas zu sagen hatte und ich ihre Argumente irgendwie auch nachvollziehen und verstehen konnte.
Eigentlich lag die Lösung schon so lange klar auf der Hand: wenn ich meiner Trauer mit Mitgefühl und Verständnis begegnen kann, dann funktioniert das auch mit der Angst (und allen anderen Emotionen übrigens auch).
Wahrnehmung vs. Realität
Die Angst ist unser biologisches Alarmsystem und ist somit lebenswichtig. Sie hilft, uns vor Bedrohungen und Gefahren zu schützen und lernt dabei auch aus Erfahrungen. Mit dem Verlust eines geliebten Menschen hat auch die Angst mit uns gelitten und erfahren, wie schmerzhaft es sein kann. Irgendwie ist es da auch verständlich, dass sie jetzt heftiger auf wahrgenommene Bedrohungen reagiert. Und hier ist die Crux an der Sache – Wahrnehmung ist nicht gleich Realität!
Leider ist die Angst in vielen Fällen daher nicht wirklich hilfreich. Sie prophezeit Szenarien in der Zukunft, die du zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht kennen kannst. Diese „gruseligen“ Vorstellungen schwächen dich aber so sehr, dass du deine Energie gar nicht voll nutzen kannst. Das heißt, du belastest dich jetzt mit Problemen, die erstens noch nicht aufgetreten sind und zweitens vielleicht auch niemals auftreten werden!
Was steckt eigentlich hinter meiner Angst?
Es ist gar nicht immer so einfach herauszufinden, was uns genau Angst macht. Wir nehmen uns oftmals auch einfach zu wenig Zeit um mal reinzuspüren und akzeptieren die Situation lieber als Status Quo. Dabei verbringen wir viel mehr Zeit damit, uns über unsere Angst zu ärgern und sie wegzuwünschen, anstatt sie einfach mal wahrzunehmen und sie anzuhören.
Hier ist eine kleine Hilfe für dich, wie das aussehen könnte:
Schritt 1 – Wahrnehmen und Reinspüren
Schliesse einmal die Augen und atme tief ein und aus. Schau mal, wo in deinem Körper die Angst sitzt. Wo spürst du sie am meisten? Leg einmal deine Hand auf diese Stelle und atme dort hin. Wie fühlt sich die Angst an? Ist sie warm oder kalt? Eckig oder rund? Hart oder weich? Welche Farbe hat sie? Kommt dir vielleicht sogar irgendein Symbol für sie?
Lass ein Bild deiner Angst entstehen und vertraue darauf, das dein Unbewusstes dir ein Bild schicken wird. Vielleicht nicht sofort. Manchmal entsteht es erst später. Wichtig ist sich mit diesem Gefühl der Angst einmal zu verbinden.
Schritt 2 – im Dialog mit meiner Angst
Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, die Angst mal aus deinem Körper zu nehmen und sie neben dich zu setzen. Schau sie genau an und frag sie mal, was sie dir eigentlich gerne sagen möchte. Welche Botschaft hat die Angst für dich? Höre tief in dich hinein und lausche den Antworten. Möchtest du vielleicht mit ihr darüber reden? Gibt es etwas, das du ihr antworten könntest? Lass dich mal auf eine Unterhaltung mit ihr ein. Vielleicht könnt ihr euch dabei sogar annähern. Vielleicht kommt sogar Verständnis und Mitgefühl mit deiner Angst auf.
Schritt 3 – Dankend annehmen
Jetzt, wo du dich mit deiner Angst unterhalten hast und sie (hoffentlich) ein wenig besser verstehst, kannst du ihr genau das entgegenbringen. Sag deiner Angst, dass du ihre Anwesenheit verstehen kannst. Das du weisst, dass sie dich eigentlich nur schützen möchte und dass du ihr dankbar dafür bist. Sag ihr aber auch, dass ihre Sorgen nur Vorstellungen sind, nicht die Realität – denn jetzt in diesem Moment ist alles okay. Gemeinsam, Hand in Hand, könnt ihr diesen Weg meistern.
So eine Reise auf dem Trauerweg scheint nie langweilig zu werden. An Überraschungen mangelt es zumeist nicht und ich rede hier nicht nur von den Positiven. Ich habe aber gemerkt, dass grad in den negativen Überraschungen und in den unerwarteten Wendungen, grosses persönliches Wachstumspotential liegt. Das Wort mag jetzt vielleicht abgedroschen und fehl am Platz klingen. Wer will schon am Tod eines geliebten Menschen wachsen? Ich könnte darauf verzichten im Austausch gegen mein Kind. Aber so funktioniert das leider nicht.
Der Verlust meines Kindes hat mich so vieles gelehrt, für das ich heute unglaublich dankbar bin. Allen voran, der Umgang mit meinen Emotionen. Ich habe gelernt, dass es die reinste Energieverschwendung ist, sich gegen die Emotionen zu wehren. Wir können versuchen sie auszusperren, aber sie finden irgendwann immer einen Weg hinein und wenn ich sie zu lange ignoriere, kann ihr Frust mit uns heftig werden und sich sogar körperlich manifestieren.
Der heilsamste Weg mit Trauer, Angst, Wut, Neid etc. umzugehen, ist ihnen mit offenem Herzen und offenen Ohren zu begegnen, ihnen zuzuhören und Verständnis und Mitgefühl entgegenzubringen.
Ich weiss, warum meine Angst da ist und manchmal überreagiert. Und ich kann ihr das gar nicht verübeln. Ich kann sie gut verstehen. Aber ich kann auch in mich reinspüren, die Situation überprüfen und ihr sagen, dass ihre Reaktion unbegründet ist und wir erstmal sicher sind. Ich habe meine Angst an die Hand genommen und wir kommen ganz gut zurecht miteinander.
Sollte sich deine Angst nicht an die Hand nehmen oder beruhigen lassen, ist es keine Schwäche sich Hilfe zu holen. Im Gegenteil: zu erkennen, dass ich es alleine nicht schaffe, sich das einzugestehen und sich dann Hilfe zu suchen, ist eine Superkraft!
Die beiden Kunstbilder stammen von der unglaublich talentierten Eva Schreiber – Mama von Sternenkind Momo. Sie hat diese Bilder extra für das Angstthema gemalt, aber auf Instagram (@loewenfrerr und @momo.im.mond) findest du noch viele weitere berührende und so treffende Bilder. Sie hat sogar ein wunderschönes Kartenset, das ich total gerne in der Begleitung von Sternenfamilien benutze. In ihrer Kunst können sich Trauernde wiederfinden und verstanden fühlen.
Selbstfürsorge in der Trauer
- 36 pages
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