Es gibt Emotionen, die in unserer Gesellschaft wenig Platz haben. Da sind zum Beispiel Neid, Angst oder Wut. Sie werden als negativ und destruktiv angesehen und wir sollten sie eigentlich besser nicht fühlen. Wir sollen nicht neidisch sein, da Neid für fehlendes Selbstwertgefühl steht. Wir sollen keine Angst zeigen, weil uns das schwach aussehen lässt. Und Wut ist sowieso ganz schlecht. Dabei sind es genau diese Emotionen, die uns in der Trauer regelmässig begegnen. Und nicht nur da – sie gehören zu den grundlegenden Emotionen eines Menschen.
In der alltäglichen Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft haben sie allerdings wenig Platz. Nach Möglichkeit geht es uns blendend, lächeln wir durchgehend und haben wir für alles Nachsicht und Gelassenheit. Da wir gelernt haben, dass solche Emotionen nicht gut sind, versuchen wir sie zu verdrängen und fühlen uns schlecht, wenn wir sie dann doch mal empfinden.
Schmerz, Angst und Traurigkeit sind als Zeichen eines „tiefen Prozesses“ in der Trauer akzeptiert – für Wut existiert leider selten ein bewusster Raum. Dabei erfüllt die Wut einen wichtigen Zweck: Wut ist Energie. In ihrer reinen Form, ist sie eine ganz verletzliche Emotion. Sie beschützt unser sensibles Herz und bereitet einen sicheren Raum für diese Verletzlichkeit. Sie ist eine Art zu zeigen, dass einem etwas wichtig ist und dies energetisch zu betonen. Wut ist Energie, die eine Beziehung vertiefen kann, wenn sie gut aufgenommen wird.
“Wut ist die Empörung der Liebe über den Tod.” – Roland Kachler
Wut ist ein wesentlicher Bestandteil von Trauer. Sie begegnet uns immer wieder. Vielleicht sind wir wütend auf das Universum, weil es uns unseren geliebten Menschen genommen hat. Vielleicht sind wir wütend auf unser Kind im Himmel, weil es einfach so gegangen ist. Vielleicht sind wir wütend, auf unsere Umwelt, weil alle einfach weiter machen, während unsere Welt in Trümmern liegt. Vielleicht sind wir aber auch wütend mit uns selber, weil wir unsere lieben Menschen nicht beschützen konnten. Wir sind wütend mit unserer Trauer, dem Schmerz und der Hilflosigkeit. Und manchmal sind wir wütend auf uns, weil wir eben diese oder jene Wut empfinden. Und oh boy, bringt uns das in eine Energie. Während uns Traurigkeit, Hilflosigkeit und Schmerz eher schwer machen, entfacht die Wut ein Feuer ins uns. Ein Feuer, das nicht so einfach gelöscht werden kann und einfach brennen will.
Roland Kachler sagt es ganz treffend: “Die Wut ist die Empörung der Liebe über den Tod.” Die Empörung über die knallharte Realität, dass wir unsere Liebe zu unserem Kind oder unserem geliebten Menschen physisch nicht mehr leben dürfen. Daher darf die Wut in der Trauer vorkommen. Wie sollte es auch anders sein? Wie sollten wir nach einem so furchtbaren Verlust nicht wütend sein? Die Wut ist Ausdruck unserer tief empfundenen Liebe für unseren vermissten Menschen und das beruhigende ist: diese Liebe kann die Wut aushalten und tragen. Sie ist keine Gefahr für unsere Liebe und DARF einen Ausdruck bekommen.
Was mache ich nun mit meiner Wut?
Natürlich sollten wir in unserer Wut nicht uns oder andere verletzen oder ihnen Schaden zufügen. Es müssen andere Ventile gefunden werden. Manchmal hilft es schon mit jemanden darüber sprechen zu können und zu erfahren, dass es okay ist, wütend zu sein. Wir könnten aber auch in den Wald gehen und unsere Wut herausschreien oder uns auf den Boden werfen und trampeln, wie ein kleines Kind. Wir könnten die Wut aufschreiben, zum Beispiel durch Satzergänzungsübungen: “Ich bin wütend, weil…”, “Es nervt mich, dass…”, ” Es macht mich rasend, dass…”. Wir könnten auch unserer Wut mal einen Brief schreiben. Oder wie wäre es sich die Wut einmal bildlich vorzustellen? Wie sieht sie aus? Wo sitzt sie in meinem Körper? Ist sie rund oder eckig? Dunkel oder hell? Kalt oder warm? Welche Farbe hat sie? Dann könnte man sie malen oder gestalten.
“Wut ist ein Geschenk” – Arun Gandhi
In unserer Trauer ist die Wut ganz eng mit der Liebe zu unserem vermissten Menschen verbunden. Umso wichtiger ist es ihr einen Raum zu geben, in dem die Wut einfach mal sein darf. In dem sie ihre ganze tiefe Energie entwickeln kann und uns helfen kann zu verstehen, dass es eine Möglichkeit gibt, wütend zu sein – mit einem offenen Herz. Wir können Mitgefühl für die Person haben, mit der wir wütend sind und Mitgefühl mit uns selbst, während wir wütend sind. So kommen wir in Beziehung mit uns und unserem verstorbenen Menschen.
Liebe, Klarheit, Kraft, Leidenschaft und Mut sind die verborgenen Geschenke, die sich zeigen, wenn die Energie der Wut in ihrer reinen Form fließen darf.
Es ist wichtig ehrlich zu sich zu sein und die Gefühle, die da aufkommen, mit Wertschätzung und Respekt anzunehmen. Auch wenn das nicht immer einfach ist und man sie eigentlich am liebsten verfluchen und wegmachen möchte. Aber wenn wir uns ihnen öffnen, ihnen mit Verständnis begegnen und sie als das sehen, was sie sind – als Ausdruck unserer Liebe – dann holen wir sie zu uns zurück und sie werden weicher in ihrer Intensität.
Wenn du das Gefühl hast, dich in deiner Wut zu verfangen und keine Weg mehr heraus findest, ist es okay Hilfe in Anspruch zu nehmen. Beim Psychologen, Psychiater oder einer Trauerbegleitung.
Wenn du professionelle Begleitung in deiner Trauer suchst, dann kannst du mich gerne kontaktieren. Ich helfe dir auf deinem Trauerweg.
https://stillsherises.blogtrauerbegleitung/
Am 16. August, von 14-17 Uhr, findet unser “Trauer dich bunt” Workshop zum Thema Wut statt. Hier kannst du mehr darüber erfahren.
Eigentlich habe ich nur gerade weil ich nicht schlafen konnte gegoogelt ob ich in einem Brief an ganz liebe verzweifelte, trauernde Eltern schreiben darf, dass ich ihnen Mut wünsche auch wütend zu sein. Weil ich bin es, erst kam der Schmerz, die Trauer, Mitgefühl und Mitleid und jetzt empfinde ich aufeinmal Wut, auf einfach alles, auf diese Sinnlosigkeit und ich würde, wenn nicht im Haus alle schlafen würden, am liebsten was zusammen schlagen. Danke für deine ermutigenden Worte auch wütend sein zu dürfen. Danke
Liebe Sabine, vielen Dank für deine Worte. Ich finde es gant toll, dass du es mit der Wut genau so siehst. Auch sie will angenommen und mit Verständnis behandelt werden.